Ferdinand von Schirach

Gott

Luchterhand

Das zweite Theaterstück einer geplanten Theatertrilogie des gefeierten Juristen und Autors. Es geht um existenzielle Daseinsfragen menschlichen Lebens und mögliche Lösungsansätze. Verhandelt wird die Frage: Ist Suizid (Selbstmord - Selbsttötung - Freitod) erlaubt?

Der Deutsche Ethikrat tagt im Theater. Zu Wort kommen dabei: der 78-jährige Richard Gärtner, der um das Recht, Suizid begehen zu dürfen streitet, sein Verteidiger Biegler, drei Sachverständige aus den Disziplinen Jura, Medizin und Theologie sowie einzelne Mitglieder des Ethikrats und Gärtners Hausärztin. Ein Thesenstück, das ohne letzte Antwort bleibt, obwohl man vermuten darf, welche Einschätzung von Schirach zu favorisieren scheint. Zu sehr werden doch manche Stellungnahmen der Sprecher zur entlarvenden Karikatur (etwa die des Bischofs). - Die meisten Besprechungen im deutschen Feuilleton lassen an von Schirachs Stück kaum ein gutes Haar. Warum eigentlich? Wird der Autor langsam zu erfolgreich? Neidet man ihm den berechtigten Erfolg? Der Text regt zum intensiven Nachdenken an. Mir reicht das. Daumen hoch!

ISBN 978-3-630-87629-0

Pierre Lemaitre

Spiegel unseres Schmerzes

Klett-Cotta

'Dumas light' für das 21. Jahrhundert. Lemaitres dritter Band der Trilogie um Ereignisse in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs ist sicherlich der schwächste der drei Romane ('Wir sehen und dort oben', 2014; 'Die Farben des Feuers', 2018). Trotzdem, das Buch liest sich unglaublich süffig. Lemaitre erzählt mit ungeheurem Tempo (manchmal halt zu Lasten durchkomponierter Qualität) und er ist klar und unmissverständlich im Urteil. Krieg ist ein grausames Mittel, Macht durchzusetzen. Gewissenhaftigkeit und Menschlichkeit bleiben in jedem Krieg leere Begriffe. Und letztlich sind alle Figuren Verlierer im furchtbaren Spiel. - Kulisse für die (mitunter abenteuerlich konstruierte) Handlung sind Paris und die Loire-Region. Die Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht und die unterschiedlichen Flucht-Bewegungen französischer Bürger bilden den Erzählkern des Geschehens. Eine unglaubliche Liebesgeschichte wird dabei im ständigen Wechsel mit konkreten Kriegsereignissen geschildert, in die die (vielen) handelnden Personen immer mehr verstrickt werden. Dass dabei eine Fülle von unwahrscheinlichsten Zufällen die Handlung vorantreibt, hinterlässt zuweilen einen zwiespältigen Eindruck. Geht Lemaitre da nicht das Risiko ein, dass ihm der Roman zum trivialen Kolportagewerk gerät? Der Spannung tut dies jedoch keinerlei Abbruch. 'Spiegel unseres Schmerzes' ist ein Pageturner im besten Sinne. Insofern ist der Hinweis auf Dumas sicherlich berechtigt.

ISBN 978-3-608-98361-6 (dt. Übers. Tobias Scheffel)

Hansjörg Schertenleib

Im Schatten der Flügel

Kampa

Bei Kampa ist 2020 Schertenleibs zweiter Kriminalroman um die ehemalige Schweizer Kriminalpolizistin Corinna Holden erschienen (Bd. 1 Die Hummerzange, 2019). Die Kriminalbeamtin im Ruhestand lebt seit dem Tod ihres Mannes Michael auf Spruce Head Island im US-Bundesstaat Maine. Zu einem ihrer Nachbarn, dem Instrumentenbauer Jake, baut sie langsam und vorsichtig eine neue Paar-Beziehung auf. Zwei folgenreiche Ereignisse stören jedoch jäh den gemeinsamen Genuss der farbenfrohen Landschaftsidylle des einsetzenden Indian Summer. Corinna hört einen Schuss und kurz darauf das Röhren eines sich sehr schnell entfernenden Motorrads. Von der Veranda ihres Hauses aus erkennt sie, dass ein Mann, offensichtlich tödlich getroffen, zusammenbricht.  Die Ermittlungen der örtlichen Polizei bleiben ohne Ergebnis. Kurze Zeit später erfährt Corinna  vom spurlosen Verschwinden eines sechsjährigen Mädchens. Auch in diesem Fall bleiben alle Nachforschungen ergebnislos. Obwohl Corinna jedweder Ermittlungstätigkeit abgeschworen hat, überzeugt sie der Privatdetektiv Matt, zusammen mit ihm nach der verschwundenen Jane zu suchen. In der vermeintlichen Idylle von Maine beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Sexualisierte Gewalt, Männlichkeitswahn, Frauenhass, Bandenkriminalität und politischer Extremismus,  das sind die Themen, die Schertenleib in seinem Kriminalroman behandelt. Zuviel für das eher schmale Buch (268 S.)? Wohl kaum, wenn ein so versierter und stilsicherer Autor Regie führt. Schertenleib hat offensichtlich Spaß daran gefunden, seine von überstandener Alkohol- und Tablettensucht genesene Protagonistin in die Abgründe der amerikanischen Provinz schauen zu lassen. Im Schatten der Flügel gedeiht das Furchtbare. Und wir Leser sind mit von der Partie.

ISBN 978-3-311-12016-2

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© Peter Cremer / November 2020