
Titelbeschreibung: E-Book

46 | Joseph Roth: Radetzkymarsch
Joseph Roth
Radetzkymarsch
Manesse
Im Literarischen Quartett haben sie sich gestritten. Über die Qualität von Stefan Zweigs Roman Die Ungeduld des Herzens. Vea Kaiser lobt den Roman. Thea Dorn ist zumindest nicht abgeneigt, eine Empfehlung mit Einschränkungen auszusprechen. Jakob Augstein hingegen murmelt schlecht gelaunt das Wort vom unerträglichen Kitsch. Und fährt dann sinngemäß fort: Wenn schon ein Roman über das Ende der Donaumonarchie, dann bitte und nur und ohne Wenn und Aber und ausschließlich - Joseph Roth, Radetzkymarsch.
Ich gebe zu: Ich bin verunsichert. Ich mochte damals, ich muss fast 18 Jahre alt gewesen sein, Zweigs Roman. Aber damals mochte ich auch Hermann Hesses Narziß und Goldmund. - Diesen Roman habe ich letzthin noch einmal gelesen, um entscheiden zu können, ob ich ihn vielleicht meinem jüngeren Sohn schenken könnte. Ein Glück, nicht einfach der Erinnerung erliegend gehandelt zu haben. Denn ich fand ihn nunmehr unlesbar, den Hesse-Roman. - Sollte ich vielleicht auch Zweigs Roman erneut lesen. Oder doch lieber gleich den von Joseph Roth? - Ich durchsuche meine Bücherregale. Wo steht er denn, der Radetzkymarsch? Kann es sein, dass sich das Buch gar nicht in meinem Besitz befindet. Nach längerer vergeblicher Suche wird es Gewissheit. Ich besitze tatsächlich keine Ausgabe des Romans. Das muss sich ändern.
Nach kurzer Recherche entscheide ich mich für die Anschaffung der Ausgabe bei Manesse, da sie den Roman in der vom Autor beglaubigten Erstfassung von 1932 vorlegt. Außerdem enthält sie neben einer erläuternden editorischen Notiz ein Nachwort von Eva Demski. Dann also mal los.
Mehr als 600 Seiten später weiß ich: Das war ein ziemliches Stück Arbeit. Das liest sich nicht mal eben so weg wie manch engagierter Gegenwartsschmöker. Roths Radetzkymarsch ist von anderem Kaliber. Immerhin heißt die Buchreihe ja nicht umsonst Manesse Bibliothek der Weltliteratur. Was hat es auf sich mit diesem umfangreichen Abgesang auf ein dem Untergang geweihtes Kaiserreich? Was macht das Besondere dieser Geschichte um die Familie Trotta aus, deren Aufstieg und Niedergang gleichsam als Spiegel des langsamen Vergehens des Habsburgerreiches erzählt wird? - Einst hatte der Leutnant Trotta Kaiser Franz Joseph während der Schlacht von Solferino das Leben gerettet. Als Belohnung wurde er in den Adelsstand erhoben und durfte sich fortan Trotta von Sipolje nennen. Das Leben und Wirken dreier Generationen von Trottas beschreibt Roth im Gleichklang mit der Erzählung der Geschichte der k.u.k.-Monarchie und ihres Herrschers. Wie die Familie der Trottas ist auch das Kaiserreich dem Untergang geweiht. Am Anfang steht die Rettung des kaiserlichen Lebens. Am Ende stehen das Sterben und der Tod Franz Josephs. Dazwischen steht: die Erzählung vom langsamen Verfall des Habsburgerreiches, vom Zerfall eines Weltreiches, umspielt von Walzerklängen und Marschmusik. Ehre, Disziplin, Genuss, Spiel- und Trunksucht, Schulden, Völlerei, Liebe (echte, verbotene, aussichtslose), Standesdünkel, Militär, Juristerei, Krieg, Leid, Widerstand … da braucht es schon die 600 und mehr Seiten „um mit liebenswürdiger Melancholie […] mit leiser Wehmut […] so unbestechlich, wie es einem Chronisten zukommt, die ‚Welt von Gestern‘ von ihrem Ende her [zu] vermessen.“ (U1) Ich empfehle vorbehaltlos Roths Requiem auf das alte Österreich (U4) als Literatur gewordene Geschichtslektion, vermittelt von einem unglaublich genauen, ja weisen Zeitbeobachter. (Eva Demski, Nachwort, S. 647)
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©Peter Cremer, Januar 2022
46 | Joseph Roth: Radetzkymarsch. 2021, Manesse, 978-3-7175-2218-8 [ISBN]
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