Titelbeschreibung: E-Book

34 G. Köpf: Palmengrenzen

Gerhard Köpf

Palmengrenzen

Braumüller

Wie wunderbar: Da ist er wieder! Der ehemalige Literaturprofessor, der zeitweilige Schauspieler, der zu Unrecht viel zu unbekannte Meisterautor Gerhard Köpf. Und das diesmal mit einem veritablen Mafia-Roman. Obwohl, die Mafia gibt es ja gar nicht. Das lernt man in ‚Palmengrenzen‘. Und unser Lehrmeister diesbezüglich ist Luigi Malerba. Eine entsprechende Geschichte aus dessen ‚Die nachdenklichen Hühner‘ dient als Beleg. Köpf zitiert gern und oft, wobei er die Zitate formidabel in den eigenen Text einbaut. Sogar sich selbst zitiert er, z. B. wenn er vom Leben der Zuckerbäckerin Maria Magdalena Schaumlöffl erzählt, die den Reisenden in Sachen Damenunterwäsche Stefano Lavrone ehelicht (so in ‚Die Zeit auf alten Uhren‘ aus dem Jahr 2012). In ‚Palmengrenzen‘ ist selbige „Madame Schaumlöffl eine glänzend im Strumpf stehende Mittdreißigerin, die wie eine resche Mittzwanzigerin aussah“ (S. 38), die im aktuellen Roman dem Kalabresen Antonio Sidara begegnet, ihn heiratet und so das Italienische in Bad Thulsern heimisch werden lässt. Und eingebettet in allerlei Fein- und Hintersinniges in Sachen Machtergreifung durch die Mafia (bzw. die Cosa Nostra bzw. die `Ndrangheta bzw. die Camorra bzw. die Sacra Corona Unita), erfahren wir hier so manches über das Erstarken der ‚ehrenwerten Gesellschaft‘ im beschaulichen Allgäu.

Der pensionierte Notar Bruno Ziegler ist, im Schnellzug von Bologna nach München reisend, Opfer einer regelrechten Hinrichtung geworden. Zieglers gleichaltriger Studienfreund, ein „Schneekugeln der Marke Rosebud“ (s. 13) sammelnder Apotheker, entwickelt eine eigene Theorie zum Tathergang, die jedoch in Ermittlerkreisen nicht weiter verfolgt wird. Die steile These vom Mafiamord wird als nicht beweisbar abgestritten. Das Verbrechen bleibt unaufgeklärt. Ziegler hat jedoch ein Konvolut von Aufzeichnungen hinterlassen, die die Vermutung seines Freundes nach dessen Einschätzung mehr als bestätigen. Auch diese Indizien finden weiter keine Beachtung. Die Papiere Zieglers werden vom Freund, einst als Nachlassverwalter vom Notar bestimmt, zusammengestellt zur „Geschichte einer ebenso verschwiegenen wie erfolgreichen Eroberung. Diente das Allgäu der Mafia zunächst als erholsames Rückzugsgebiet, so ist es heute eine effiziente Operationsbasis … Nirgendwo ist es für die Mafia sicherer zu leben und in ihre Unternehmen zu investieren.“ (S. 17 f.)

Wie der Top-Jurist Ziegler zum verschwiegenen Ehrenmann der ehrenwerten Gesellschaft und schließlich sogar zum Consigliere derer, die es nicht gibt, in Bad Thulsern wird, immer dem Gesetz der omertà verpflichtet, zuletzt jedoch ein verlockendes Angebot und Mandat ablehnt und somit selbst sein Todesurteil fällt, all das (und noch viel mehr) erzählt der Roman ‚Palmengrenzen‘. Eingebettet in den Text sind außerdem Passagen aus dem ‚Sammelordner‘ Zieglers, der als Pensionär an einer ‚Geschichte der Henkersmahlzeit‘ arbeitet. Dabei lesen sich die Notizen aus dem Sammelordner wie ein erhellender, ironisch-zynischer Kommentar zu den biographischen Aufzeichnungen Zieglers.

Gerhard Köpf ist ein Autor, der nicht nur spannende, vertrackte und ausgesprochen komische Geschichten zu erzählen weiß. Unbedingt zu rühmen ist auch seine Sprach-Kunst.

Geschult an Lehrmeistern wie Keyserling und Rezzori hat sich Köpf einen hochliterarischen Plauderton zu eigen gemacht, der in der aktuellen Gegenwartsliteratur selten geworden ist.

So heißt es über den schon oben erwähnte Antonio Sidara: „Auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen und politischen Karriere ereilte Antonio Sidara ein schwerer Schicksalsschlag in Gestalt einer frühreifen Fünfzehnjährigen, deren geradezu sensationell zu nennende körperliche Entwicklung zahlreiche Herren der Gemeinde wohlwollend und aufmerksam beobachtet und wortreich mit einschlägiger Terminologie kommentiert hatten. Das überwiegend kurzberockte Wesen mit unendlich langem, edel geformtem Fahrgestell und beträchtlich ausgefüllten Pullovern war als Lehrmädel in der Zuckerbäckerei von Madame Schaumlöffl angestellt. Wer hier wen wozu verführt haben mag, bleibe dahingestellt.“ (S. 43) 

Eine Kaffeehausbedienerin wird beschrieben als „dieses vor Weiblichkeit schier platzende Modell für Übergrößen“ (S. 90), die gegenwärtige gesellschaftliche Intelligenz wird dem Erzähler zu „Prosecco-Intellektuellen“ (S. 13), das Allgäu zur „alphornverblasenen Bärenmarkenidylle“ (S. 117). Beim Genuss einer guten Mahlzeit geht „es nicht um Nahrungsaufnahme, sondern um eine Verneigung vor dem guten Leben.“ (S. 172) – Es gibt kaum eine Seite in diesem wunderbaren Roman, auf der ein Sammler geistreicher Bonmots nicht fündig wird.

‚Palmengrenzen‘ von Gerhard Köpf ist so todernst wie urkomisch, ein aberwitziges Gedankenspiel in nahezu perfekter Komposition.

„Jede Geschichte öffnet ein Fenster in die Vergangenheit, selbst wenn sie in der Gegenwart spielt, aber nicht jede Geschichte muss ein gutes Ende haben. Manche Geschichten haben gar kein Ende, weil sie noch immer andauern.“ (S. 19)

Das gilt so auch für ‚Palmengrenzen‘. Freuen Sie sich auf einen Lesegenuss der Extraklasse.


ISBN978-3-99200-269-6

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© Peter Cremer / September 2020

34 G. Köpf: Palmengrenzen. 2021, 978-3-99200-269-6 [ISBN]


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