Titelbeschreibung: E-Book

28 M. K. Fonn: Kinderwhore

Maria Kjos Fonn

Kinderwhore

CulturBooks

Und wenn du an Norwegen denkst, was kommt dir in den Sinn? Atemberaubende Landschaften, Einsamkeit, raues Klima, schweigsame Menschen, zahllose Fjorde, Hurtigrouten, bunt angestrichene Häuser aus Holz, Nordseeöl-Reichtum … Ja, alles richtig. Fehlt noch was? Was ist mit Dreck, Drogen, Tod und Gewalt? Ahnst du was? Wenn ein Roman „Kinderwhore“ heißt und der Klappentext von den ‚Schrecken des Erwachsenwerdens‘ (U4) spricht?

Charlotte lebt allein mit ihrer Mutter. Die schläft viel, wegen der vielen Tabletten, die sie schluckt. Die hat häufig wechselnde Liebschaften. Deshalb hat Charlotte viele Väter, während sie heranwächst. Einer von denen ist Jonas. Charlotte ist 12, ist 13, als er sich oft zu ihr legt. Lieber als zu ihrer Mutter. Er schreibt ihr im Messenger, dass er sie liebt. Charlotte stiehlt Mamas „Paralgin forte, damit die Liebe nicht so wehtut.“ (S. 62) Dass er auch Fotos macht, von ihrem Körper mit seinem Handy zwischen ihren Beinen, das nimmt sie nur in einem dumpfen Dämmerzustand wahr. Denn sie kniet schon wieder vor der Kloschüssel, „mein Magen stülpte sich um, ich erbrach mich, wieder und wieder und wieder … Es tat so verdammt weh, geliebt zu werden.“ (S. 63) Dann blutet sie, nicht nur zwischen den Beinen. Die ganze Kleidung ist blutverklebt. Sie wirft sie in den Müll. Weg. Dann ist es weniger schlimm. Doch da ist etwas in ihrem Kopf. Das kann sie nicht wegwerfen. Das ist jetzt immer da. Auch wenn sie noch so viele Drogen konsumiert.

Ihr Leben jetzt: „Sich anziehen, sich zudröhnen, sich aufnutten, sich hinlegen. Das war doch leicht.“ (S. 82) Manchmal überlegt sie, ob sie ‚bad fürs business‘ sein könnten, die Drogen … egal, sie nimmt sie, sie macht es, sie bekommt Geld, manchmal viel Geld.

Sie ist schon 15, da schluckt sie 120 Schlaftabletten. Man findet sie. Das Leben geht weiter. Psychiatrie, Jugendknast, Wohngemeinschaften, Gewaltrisiko, Suizidrisiko, Traumata, Dissoziation, Medikamente ohne Ende. (S.115) Courtney Love singt ‚Doll Parts‘. Charlotte ist keine Puppe, aber zerstückelt ist sie, „abwechselnd traurig, ängstlich, aggressiv“ (S. 147), „schließt keine Freundschaften, hat antisoziale Züge, zwanghaftes sexuelles Verhalten und starke Grenzenlosigkeit“ (S. 151), mit der sie ihrer Umwelt und sich selbst dauerhaft Schaden zufügen kann und wird.

Norwegen. Offensichtlich ein modernes Land im modernen Europa. Drogen, Sex und Tod. Missbrauch, Vergewaltigung und Sterben.

Dann lernt Charlotte Kristine kennen. Die vermittelt ihr eine Anwältin. Als erstes muss sie ihre Mailadresse ändern. Kinderwhore97@hotmail.com geht nicht. Der Rest wird sich klären. Schuldig einer, eine?

„Eine Schulfreundin sagte aus, die Geschädigte habe sich ihr mit zwölf Jahren wegen der Übergriffe anvertraut, gleich nachdem diese begonnen hatten. Diese Freundin und die Geschädigte hatten mit fünfzehn Jahren zuletzt Kontakt. … Sie war achtzehn, als sie innerhalb ihrer Therapie anfing, über die Übergriffe zu sprechen.“ (S. 241)

2020, #metoo, Kinderpornografie, Bergisch Gladbach und Münster, höchste Dunkelziffern – was ist bloß los in der Welt, wie entsteht das alles? 

Eine von vielen möglichen Antworten gibt der Roman von Maria Kjos Fonn, den Gabriele Haefs glänzend übersetzt hat. Der Text ist aufwühlend und verstörend, aber auch mitreißend und bis zur Unerträglichkeit wahr. Die Lektüre entspannt nicht, aber sie klärt auf. Und ist deshalb schmerzhaft notwendig. Was kann Literatur mehr leisten?! 

28 M. K. Fonn: Kinderwhore. 2021, 978-3-95988-106-7 [ISBN]


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