
Titelbeschreibung: E-Book

27 J. Lahiri: Wo ich mich finde
Jhumpa Lahiri
Wo ich mich finde
Rowohlt
Mehr als vierzig kurze und kürzeste Prosastücke versammelt der knapp 160 Seiten schmale Band „Wo ich mich finde“ der inzwischen in Rom lebenden und in italienischer Sprache schreibenden Jhumpa Lahiri.
Im Stillen, In der Bar, Im Bett, In der Buchhandlung, In der Morgendämmerung, Am Bahnhof, Vor dem Spiegel, Bei meiner Mutter … so sind die Kapitel überschrieben, die Margit Knapp kongenial ins Deutsche übertragen hat.
Die namenlose, fast immer ein wenig mürrische Ich-Erzählerin beobachtet Belangloses, notiert ihre zahllosen Befindlichkeiten, schildert Impressionen aller Art und reiht diese faits divers zu einem Textganzen, das einerseits eine seltsam schwermütige Grundstimmung befördert, andererseits aber auch eine heiter unangestrengte Leichtigkeit hervorzurufen vermag. Die Gleichzeitigkeit, mit der die Erzählerin beide Wirkungswelten erzeugt, macht die Lektüre ebenso leicht und schwerelos wie melancholisch und suggestiv. Nie sind die einzelnen Geschichten auf eine Pointe hin erzählt. Vielmehr sind in es oft kurze Nebensätze, in denen die zentralen Kernaussagen scheinbar beiläufig versteckt sind.
In „Bei mir zu Hause“ empfängt die Erzählerin eine alte Freundin in ihrer Wohnung. Diese Freundin hat leider ihren Ehemann im Schlepptau, einen eher unangenehmen Zeitgenossen, dessen Gelehrtheit unverschämt und besserwisserisch daherkommt. Mit kritisch abschätzigem Blick überprüft der unsympathische Mann das Bücherregal der Hausherrin, die daraufhin ihre Beobachtung wie folgt kommentiert: „[Er] beginnt, mein Regal zu durchforsten, alle meine Bücher, man kann sagen, mein Leben.“ (S. 65) Ein Halbsatz genügt, um ein Leben mit den Büchern und für die Bücher und durch die Bücher zu charakterisieren.
Gegen Ende des Romans, sie hat sich längst zum Aufbruch aus der Stadt entschlossen und ist dabei, sich mit dem Gedanken anzufreunden, den vertrauten Alltag hinter sich zu lassen, da stellt sie sich die alles entscheidende Lebensfrage: „Gibt es einen Ort, an dem wir nicht auf der Durchreise sind?“ Und gibt sogleich auch die Antwort: „Richtungslos, verloren, konfus, durcheinander, orientierungslos, verwirrt, verstört, entwurzelt, nutzlos, verschreckt: In diesen verwandten Begriffen finde ich mich wieder. Das ist mein Wohnsitz, er besteht aus den Wörtern, die für mich die Welt bedeuten.“ (S. 151)
Lahiris Erzählerin findet sich also in den Wörtern, in der Literatur. Denn diese ist die Welt. Insofern ist es nur konsequent, dass der Roman keine Handlung im eigentlichen Sinne hat, sondern Alltagsszenen in Prosaminiaturen aneinanderreiht. Diese aber erzählen in der Summe das Porträt einer Frau in ihren mittleren Jahren, die an einem wichtigen Wendepunkt ihres Lebens angelangt ist.
Jhumpa Lahiri schreibt eine Prosa von makelloser Schönheit, die aber nie in Künstlichkeit erstarrt, sondern die es mit traumwandlerischer Sicherheit schafft, erzählte Welt präzise, echt und doch voller Gefühl abzubilden. Überzeugen Sie sich unbedingt selbst.
27 J. Lahiri: Wo ich mich finde. 2021, 978-3-498-00110-0 [ISBN]
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